Unsere Finnlandsiedlung

Im russisch/finnischen Winterkrieg 1939/40 unterstützte das Deutsche Reich Finnland mit Waffen und Munition. Diese Waffen musste Finnland natürlich bezahlen und hat auch bezahlt,  mit dem was es hatte: Holz! 


Finnland lieferte an Deutschland eine größere Anzahl Fertigholzhäuser. So entstanden Finnlandsiedlungen in Kiel und Neumünster. 

Die für Lübeck bestimmten Holzhäuser wurden per Schiff und Bahn angeliefert und bis zum Aufbau in einer dazu errichteten Baracke am Bahnübergang in der Brandenbaumer Landstraße gelagert. 1943/44 wurde mit dem Aufbau begonnen. 


Das Ausschachten geschah mit Hand und Schaufel. Neben deutschen Handwerkern wurden auch Maurer aus Dänemark und auch Kriegsgefangene, die in einem Lager in Eichholz wohnten, beschäftigt.


Es wurde an verschiedenen Stellen gleichzeitig angefangen zu bauen. Um die Straßen der Siedlung nicht zu gerade und dadurch eintönig werden zu lassen, wurden einige Häuser versetzt. In der Tannenkoppel wurden die Häuser 2/4, 1/3 und 5/7 von der Straße zurückversetzt. Das Haus 34/36 steht als Maßstab richtig und die Häuser 108/110 und 112/114 wurden quergestellt, also mit dem Giebel zur Straße. 


Die von der Straße zurückversetzten Häuser haben dadurch einen sehr großen Vorgarten und hinter dem Hause nur noch ein kleines Stück Land. Im Herrnburger Weg wurden die Häuser 29/31 und 30/32 mit dem Giebel zur Straße gebaut. Im Duvennester Weg wurde das Haus 2/4 etwas schräg gestellt, das Haus 25/27 zurückversetzt, um einen Wendekreis zu schaffen. Das Haus 29/30 wurde quer zur Straße gestellt und dadurch eine Sackgasse geschaffen. Im Stoffershorster Weg steht nur das Haus 25/27 mit dem Giebel zur Straße. 


Alle anderen Häuser stehen in Reih und Glied. 


Die letzten Häuser in der Tannenkoppel hatten 1946 die Hausnummern 88/90 und 92/94. 


Durch die Neuvermessung der Bauplätze Ende der 50er Jahre wurden kleinere Bauplätze vermessen und dadurch mehr,, so dass diese Häuser die höheren Hausnummern 108/110 und 112/114 erhielten.

Bis zum 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation Deutschlands, waren die Straßen Herrnburger Weg und Duvennester Weg fast fertig geworden. 


Die Straßen Schattiner Weg und Stoffershorster Weg waren im Rohbau fertig. In diesen Häusern fehlten noch Fußböden und Decken. Der Fußboden der unteren Wohnung war die Kellerdecke. Diese war aus geschüttetem Beton und die Decke war der Fußboden der oberen Wohnung. 


In der Tannenkoppel waren nur einige Häuser aufgestellt worden und die Häuser im Brunshorster Weg wurden überhaupt nicht gebaut. Die Häuser für diese Straßen lagerten in der langen Lagerbaracke am Bahnübergang in der Brandenbaumer Landstraße. 


Der Aufbau war durch die Kapitulation unterbrochen worden.


1939, dem letzten Friedensjahr, hatte Lübeck rund 130.000 Einwohner. Da die Fluchtroute der ost- und mitteldeutschen Bevölkerung gen Norden führte, kam es zu einem Anwachsen der Lübecker Bevölkerung 1945 innerhalb weniger Wochen auf 270.000 Einwohner. 


Dabei muss man Bedenken, dass durch die Bombardierung Lübecks in der Palmsonntagsnacht 1942 die ganze Innenstadt zerbombt worden war. Dadurch war viel Wohnraum zerstört worden und die Wohnungsnot ohnehin groß. 


Die damit verbundenen Zustände waren katastrophal.


Die britische Militärregierung, die nun hier in Lübeck das Sagen hatte, beschloss zu Weihnachten 1945 die Finnlandsiedlung aus- und fertig zu bauen und an Flüchtlinge mit 3 und mehr Kindern zu vermieten.

Das klingt sehr schön, leider sah es in der Wirklichkeit anders aus. Das Bauamt der Hansestadt bekam den Auftrag, die Siedlung fertig zu bauen. Der Haken war nur, es war kein Baumaterial da. 


Womit bauen, wenn man nichts hat? So war die Lage und so wurden die Wohnungen Weihnachten 1945 an die Flüchtlingsfamilien vergeben. In jedem Doppelhaus gab es vier Wohnungen, zwei oben und zwei unten. In jedem Doppelhaus vier Familien mit mindestens drei Kindern, macht mindestens in jedem Haus 20 Personen.

 

An die Kanalisation war die Siedlung nicht angeschlossen. Im Keller stand für jede Familie ein Trockenklosett. Wenn der Eimer voll war, wurde der Inhalt  im Garten vergraben. Im Herrnburger Weg und im Duvennester Weg gab es einen Wasserhahn im Keller für die 20 Bewohner. Die Abwässer wurden ebenfalls in den Garten geschüttet.


Welcher Luxus gegenüber dem Schattiner Weg und Stoffershorster Weg. Diese mussten sich das Wasser von der Straße holen. Da war unter in der Straße bei dem Haus 6/8 ein Wasserhahn und weiter oben bei dem Haus 22/24 ebenfalls eine Zapfstelle. Im Winter  waren die Wasserhähne meistens eingefroren und die Bewohner kamen dann mit ihren Gefäßen in den Duvennester Weg und Herrnburger Weg, um sich Wasser zu holen.


In jeder Wohnung stand ein eiserner Ofen. In der Küche eine "Brennhexe". Das war ein Miniherd mit einer Kochstelle und einem Bratrohr.

Die Fenster im Herrnburger Weg und Duvennester Weg waren verglast, während die Fenster im Schattiner Weg und Stoffershorster Weg mit einem Kunstglas versehen waren, das die Eigenschaft hatte, beim geringsten Luftzug zu bullern und wurde darum auch "Bullerglas" genannt. 


Für Herd und Ofen gab es kein Brennmaterial. Viele Leute holten sich ihr Brennmaterial aus dem nahen Lauerholz. Wer damals Säge oder einen Handwagen hatte, war einreicher Mann. 


Hier muss ich nun leider berichten, dass die Leute damals in dieser Notzeit die Baracke aufbrachen und die dort lagernden Finnenhäuser zusägten und durch die Schornsteine jagten. Das war in den Jahren 1945 bis 1947. 


Das Unglück wollte es, dass wir 1945 und 1946 sehr strenge Winter hatten. So wurden in diesen Jahren die Häuser der Tannenkoppel und des Brunshorster Weg`s verheizt. Hieran waren aber nicht nur die Bewohner der Finnlandsiedlung beteiligt. Nein, es hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, dass an der Brandenbaumer Landstraße am Bahnübergang Holz in Hülle und Fülle zu holen sei und die hungernden und frierenden Menschen kamen von weit und breit und holten sich Holz.

Zwischen den Häusern war Öde. Sand und nichts als Sand. Die Straßen waren nicht befestigt. Um die Häuser herum kein Strauch, keine Pflanzen und schon gar kein Baum. Wenn es mal windig war oder gar stürmisch, so war das automatisch ein Sandsturm und derart, dass man die Häuser der gegenüberliegenden Straße nicht sehen konnte. Der Sturm trieb den Sand durch sämtliche Ritzen und durch das "Bullerglas" in die Wohnungen. 


Das Land musste urbar gemacht werden. Alle wollten etwas anbauen. Aber wie und womit? Die Not war groß und zu kaufen gab es nichts. Was es auf Bezugsscheine gab, reichte nicht zum Sattwerden. 

Wir wollten alle etwas anbauen, aber womit? 

Es gab weder Spaten, Harken noch Schaufel. Da setzten sich einige Siedler zusammen und berieten die Lage. Es sollte Bezugsscheine für Gartengeräte geben. Aber wie nun an solch einen Bezugschein herankommen? 


So entstand der Gedanke, einen Verein zu gründen. Wie aber sollte der Verein heißen? Sollte es ein Kleingartenverein oder ein Kleinsiedlerverein sein? Wer bekam die meisten Bezugsscheine? Das waren Fragen, die uns alle bewegten. Da wir nicht den Charakter eines Gartenvereins hatten, sondern doch mehr den Charakter einer Nebenerwerbssiedlung darstellten, beschlossen wir, uns "Kleinsiedlerverein Finnlandsiedlung" zu nennen und uns dem Deutschen Siedlerbund anzuschließen. 


So kam es am 11. August 1946 zur Gründung unseres Vereins.


Nach der Währungsreform im Jahre 1948 normalisierte sich das Leben. Es gab wieder alles zu kaufen, die Wirtschaft florierte und es wurde auch schon wieder gebaut. Da in unserer Siedlung (Tannenkoppel und Brunshorster Weg) noch Bauplätze vorhanden waren, wurden die4se Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre mit Eigenheimen bebaut. Nach der Währungsreform wurden auch die Finnlandhäuser verkauft. 


Es ist ein Verdienst des "Kleinsiedlervereins Finnlandsiedlung", der mit der Hansestadt vereinbarte, dass die Häuser der Siedlung nur an Bewohner verkauft wurden. Der Verkauf der Häuser ging nur langsam voran. Zum einen hatten die Bewohnen kein Geld, zum anderen waren die Häuser wenig attraktiv. Es lagen als elektrische Leitungen noch die Eisenleitungen aus der Bauzeit. Daran konnten keine stärkeren elektrischen Geräte, wie E-Herd, Durchlauferhitzer u.ä. angeschlossen werden. In den Wohnungen waren keine Wasserleitungen und auch zum Abfluss keine Kanalisation. 


Erst im Laufe der 50er Jahre, als nach und nach diese Mängel abgestellt wurden. , Die Kanalisation war verlegt und die Straßen befestigt und geteert, gingen die Häuser in Privatbesitz über.


Hiermit möchte ich schließen. Da dieses ein persönlicher Bericht ist und keine Chronik, erhebt er keinen Anspruch auf Authentizität.


Herbert Ziemsen 

Juli 1988